Sonntag, 13. November 2011

Zimmedwaffele

Hinnerm Kische-uhwe steht schun long meiner Nelly-Oma ihr ald Zimmedwaffeleponn. Eisch hott als schunn e paar Mol droan gedoachd, Zimmedwaffele se bagge, awwer die Modder hodd gesaahd, isch soll mer dos bloß net im Haus anduhn, es gäb so blohlischer Raach unn der wär kaum aus'sehalle, de Vadder hätts die letschde Johr noch jed Mol drei Daach om Herz gehoadd, wonn se Zimmedwaffele geback härre.

Kaum zu glauben also, dass das Zimtwaffelbacken zu meinen intensivsten und liebsten Kindheitserinnerungen zählt, wurden die Waffeln doch in einer kleinen Küche voller Leute gebacken. Das Zimtwaffelbacken begann mindestens einen Tag zuvor, da musste der Teig geknetet werden, um dann bei kühlem Klima genug Zeit zum Ruhen zu haben.
Das Waffelbacken fand im Haus meiner Großtante statt, "on Schneijoobs". Dort trafen drei große Schüsseln mit Waffelteig aufeinander, eine von besagter Großtante, eine von ihrer Schwägerin, eine von meiner Mutter, ihrer Nichte.
Im Gefolge der Schüsseln Großteile der Familien, die sich in der kleinen Küche mit dem Relingofen versammelten. Kam man in die Küche, stand man auf einer gekachelten Fläche. Rechts war das Fenster zum Hof, geradeaus die Spüle, links daneben eine Nische mit einem Stuhl, dann kam der Relingofen. Da bestand der Bodenbelag schon aus den alten Holzbohlen, die gebohnert werden mussten. Gegenüber dem Ofen- also linkerhand für den, der durch die Tür kam- stand der schwere Holztisch, der an den schmalen Seiten ausgezooh (ausgezogen: verlängert) werden konnte. (War er ausgezooh, passten gerade noch Stühle reihum, dann war die Kisch voll.)
Zum Zimmedwaffelebagge war er nicht ausgezogen, sondern stand wie üblich an der Wand- es war nötig, Bewegungsraum zu haben. Am Tisch wurden Teigkugeln geknetet und fertiggebackene Waffelplatten in einzelne Waffeln geschnitten. Am Ofen stand einer der Männer und domptierte das Feuer und das schwere Waffeleisen.
Das Waffelbacken hatte dann seinen eigenen Rhythmus. Der Ofen musste im rechten Maß befeuert werden, das Waffeleisen musste die rechte Hitze haben, die Teigkugeln, von denen je eine auf die sechs Waffelmodel gesetzt wurde, mussten die rechte Größe haben und an die richtige Position gesetzt weden. Nur, wenn all das zusammenkam, wenn zudem noch das Eisen im rechten Maß gewendet wurde und zum rechten Moment vom Ofen geholt wurde, konnte eine gleichmäßige und ausgebackene Waffelplatte auf den Tisch geworfen werden. Diese Waffelplatte musste dann zügig in sechs einzelne Waffeln geschnitten werden. Auch das erforderte etwas Geschick, denn gut schneiden konnte man die Waffeln nur in der Zeit, in der sie zum Anfassen zu heiß waren- sobald man sie anfassen konnte, bröselten und brachen sie unter dem Schnitt.

Gehörte zu Beginn der Arbeit alle Aufmerksamkeit diesen vielen Einzelanforderungen, so entstand mit jeder gebackenen Waffelplatte ein Teil Routine, und es waberten Gesprächsthemen um den Ofen, die mit Waffeln nicht mehr viel zu tun hatten.
Während nun Dorfgeschichten der Gegenwart oder der Vergangenheit sich ablösten mit engagierten Politikdebatten, ging durch die Hände ein Rhythmus, der sich eingespielt hatte: Jede rollende Hand wusste nun, wie groß die Teigkugeln zu sein hatten, der Ofen bollerte und wurde weiter befeuert, das Waffeleisen öffnete sich, wurde gekippt, die Waffelplatte wurde unter zuckenden Fingern zurechtgeschnitten, währenddessen waren schon wieder sechs Teigkugeln in das Eisen gesetzt und das Eisen, angepackt von Händen in Maurerhandschuhen, zusammengepresst worden. Der Teig, der sich aus dem Eisen drückte, musste zügig abgeschnitten und von der Herdplatte geschnippt werden.
Das Fenster zum Hof war längst beschlagen, und solange wir Kinder klein waren, fingen wir auch an, auf den Fenstergläsern mit dem Finger zu malen- bis es ein Donnerwetter gab, weil die Fenster damit natürlich Fettschlieren hatten und tags drauf geputzt werden mussten.
Wenn die Luft besonders dick war, wurden wohl auch Tür zum Flur und Fenster zum Hof geöffnet, aber das ist eine Mutmaßung.
Am Ende standen drei große Schüsseln Zimtwaffeln, die dann reihum alle Zuggerbaggesturre bestücken würden, denn mit den Gabentellern hatte man es bei uns nicht so: Es gab bunte Papiertüten, in denen Weihnachtsplätzchen, vermischt mit Mandarinen, Orangen und gekauften Schoko-Lebkuchen, verschenkt wurden.

Met der Zimmedwaffeleponn vun de Nelly-Oma hommer donn jetz gischdern Waffele gebagg. Mer honn jetz nämlisch e Eise-Uhwe drauß, der steht unner'm Schopp (heit sahn se joh "Kah-Poat"), unn do brauche merr uhs doss net in de Kisch ohnseduhn. Es wohre ahrisch wehnisch Leit fer Waffele se bagge, nur es Anna, de Peerer unn eisch. S'erscht honn isch emm Anna gezeijt, wie mer Kuchele rollt.
Donn horrisch misch e bissje merrem Peerer om Kobb, weil dehr gemäänt hott, wenn isch em beim Eise eninnsprooche, donn soll isch's doch gleisch sellwer mache. Doh wor's donn faschd e bissje wie in de olt Schneijobs Kisch...


Jetz hommer zwo groohre Dibbe met Zimmedwaffele. Ich wääs jetz nohre noch net, wo mer donn die alde Zuggerbaggesturre nommoh hearkrieht.....

Mittwoch, 7. September 2011

Uhs Ingrid, mei Goot

Uhs Ingrid, mei Goot, iss dood. Vun Sunndach uff Mondach, moarjens um vejier.

 
Uhs Ingrid, mei Goot. + 5.September 2011

Schloof guhd, unn doss derr im Himmel dei Bluhme goss wehre unn bliehe.

Sonntag, 28. August 2011

Vum Hääeße

Ruft mich heute Mittag meine Mutter an: Nach der Lektüre von "Stried leit" war ihr das "Hääeße" in den Sinn gekommen. "Isch wollt' derr noch sahn, es Hääeße muss unnbedinngd aach eninn. Wommer jemond gehääeß hott, wääesche, ferr die Laischd, zum Beispiel." Es schließt sich ein längeres Gespräch über die Doppeldeutigkeit des Begriffes an, in dem auch einige Klassiker der dörflichen Bonmots auftauchen.
Vom Heißen also. Vum Hääeße. (Das ääe ist mein Versuch, einen Laut zu verschriftlichen, der zwischen a und e liegt, dabei aber dem e näher ist als das "ä".)

Die Mehrdeutigkeit des Begriffs ist nicht auf Hundsbach begrenzt, also greife ich nach dem Herkunftswörterbuch des Duden, Mannheim 1963 und werde fündig: Das gemeingermanische Verb, mittelhochdeutsch heizen, althochdeutsch heizzan, "auffordern, befehlen, sagen, nennen", gotisch haitan, "befehlen, rufen, einladen, nennen" (...) gehört wahrscheinlich zu der indogermanischen Wurzel *kei-[d]- "in Bewegung setzen", hat also demnach seine Bedeutung aus "antreiben, zu etwas drängen" entwickelt. (...).
Die Goten also. Befehlen, rufen, einladen, nennen. Doch, ja, das deckt sich in einigem mit dem Hundsbacher Sprachgebrauch.

Fangen wir an mit dem Hääeße = einladen.
Als im April 1979 meine Konfirmation anstand, gab es allerhand vorzubereiten. Familienfeiern wurden zumeist noch zuhause in traditioneller Organisation gefeiert. Also stand einige Wochen vor dem Fest das "Hääeße gehn" an: Die Gäste mussten persönlich eingeladen werden. Inwieweit das per Post geschehen konnte, weiß ich nun nicht mehr- aber ich erinnere mich dunkel daran, dass ich mich in ordentlicher Kleidung bei Verwandten vorstellig zu machen hatte. "Ei, isch wollt' och hääeße, ferr mei Konfermation." Meine Paten, die außer Reichweite für ein Maeje wohnten, habe ich wohl telefonisch "gehääeß".
Zum gleichen Anlass gab es aber auch das Hääeße = rufen (gotisch)  oder auffordern (althochdeutsch).

Auch das gehörte zum Hääeße: Das Goldrandgeschirr für Familienfeiern musste zusammengerufen werden.
Das war aber nicht meine Aufgabe, sondern Sache meiner Eltern: Hääeße fer se Hellfe. Zum Vorbereiten, zum Küchendienst, zum Nachbereiten brauchte es viele helfende Hände- und es gehörte sich, diese Hilfe mit klaren Worten anzufordern. In einem Prinzip der vielschichtigen Gegenseitigkeit, versteht sich.

Im Erzählen heute Mittag fiel meiner Mutter vor allem die Bedeutung des "Gehääeß- senns" bei Beerdigungen (bei de Laischt) ein. "Wer gehääeß wor, der hott vorre met am Graab gestonn. Die Onnere senn aach uff die Laischd gong, awwer, wommer gehääeß wor, dos war ebbes Besonneres, dos war aach e Wertschätzung."
[Wer geheißen war, der stand vorne mit am Grab. Die Anderen gingen auch zur Beerdigung, aber wenn man geheißen war, das war etwas Besonderes, das war auch eine Wertschätzung."]
Se ware gehääeß./ Ei stell derr emol voor, es hott sei Ungel net gehääeß. Das waren Sätze mit Tiefgang (und zuweilen mit mehrjährigen gesellschaftlichen Folgen).

Im Verlauf dieses Gespräches habe ich dann auch ein kleines Missverständnis meinerseits aufgedeckt, und das hat mit einem Klassiker der Hundsbacher Bonmots zu tun:
"Lina, hääeß derr Leit!", so die korrekte Fassung eines Spruches, den ich stets als "Lina, hääes dei Leit!" im Ohr hatte. Ein Buchstabe und eine Welt an Unterschied.
Blenden wir fast hundert Jahre zurück, es herrscht der erste Weltkrieg. Ein Ehepaar, Lina und Karl, war  getrennt; Lina zuhause, Karl im Krieg. Ob per Feldpost oder anlässlich eines Fronturlaubs: Lina muss wohl ihrem Karl geklagt haben, dass sie mit der Arbeit auf Hof und Feld alleine nicht zurande kommt. Und Karl, ob postalisch oder persönlich, hatte den einen Rat: "Lina, hääes derr Leit!" Hääese = rufen, auffordern. Also: Lina, ruf dir Leute dazu, die dir helfen werden.
Jenes "Lina, hääes dei Leit!", das ich im Ohr hatte, war dagegen von ganz anderer Farbe, es deutete an, dass ein Fest anstand und eine Mischpoche einzuladen war.

Von selbiger Lina gibt es weitere Bonmots, die Verlauf und Ende dieser Lebensgeschichte andeuten:
 "Isch honn die beschd Hoffnung, dass uus Kall nimmee kimmt", als wohl keine Feldpost mehr einen Rat brachte.
Und als uus Kall dann doch wieder zuhause war:
"Do leij'rer im Bett, so falsch unn so aarem. Isch honnem e Wassersippsche gekocht, awwer err mohn neischt."
 Irgendwann haben Humoristen der dörflichen Mund-zu-Ohr-Chronik dem angefügt: Do honn isch noch e Eij eninngeschlah unn honn's selwer gess. Das dürfte aber mit einigem zeitlichen Abstand geschehen sein, denn Hundsbacher Kommentare sind zuweilen zwar geeignet, die Graberde von unten zu wenden- aber sie halten sich doch stets an eine gewisse Schamfrist. (Sonst könnte es ja heißen: "Ei wos hosche donn dei Maull net gehall, es hot disch doch kääner gehääeß!")









Samstag, 27. August 2011

Stried leit

Aus gegebenem Anlass ein Beitrag zum Thema "Liegen": Es leit. Oder, das kam mir dann gleich mit in den Sinn: "Stried leit". Womit zwei sehr unterschiedliche Tatbestände genannt sind. Fangen wir an mit "Stried leit".
"Stried" ist ein Gemarkungsname, die Stried liegt im Süden des Dorfes. Es gibt auch einen dazu gehörigen Weg: Den Strieder Weg. "Stried leit" ist ein Zitat, das das umständlichere "wir haben unsere Wiese auf der Gemarkung Striet bereits gemäht" auf den Punkt bringt. Wer es wann aus welchem Anlass geprägt hat, weiß ich nun nicht- aber der Begriff hat sich gemausert zum Ausdruck dafür, dass etwas schlagartig von der Vertikalen in die Horizontale gewechselt hat.
Kam unser Kater Sam ins Haus und ließ sich -pluff- auf die Seite fallen, so hieß es: Stried leit.
War jemand nach schwerer Arbeit oder nach ebenso schwerem Feiern dem Drang der Horizontalen schlagartig gefolgt: Stried leit.
Womit ich auch zum Anlass des Beitrags komme: Nach zwei Wochen Krankenhaus fand unsere Tochter Anna mit selbstloser Unterstützung ihrer Lea die lange vermisste Bettruhe auf dem heimischen Sofa.

Anna und Lea: Stried leit.


Es gehört zu den Hundsbacher Liebenswürdigkeiten, dass im Gespräch die kleinen und die großen Lebensfragen umgekehrt werden: Da wird scheinbar Nichtiges gravitätisch groß- Stried leit- und im Umgekehrten- als drehe man ein Fernglas um- wird Monumentales klein, und man kann darüber reden. Und damit komme ich zu dem anderen Begriff: "Es leit". Oder: "Err leit". In dieser schlichten Kombination ist stets lange und ernsthafte Bettlägerigkeit gemeint.
Zu diesem schweren und monumentalen Thema aber ein andermal mehr- noh all däm Junduff met Anna unn Krangehaus wehr'isch misch jetz aach ab-lähje.
Stried leit.

Freitag, 5. August 2011

Iwwer Feld

Vor einiger Zeit hat mich ein beunruhigender Gedanke gepackt. Beim Nachdenken über den Kinderalltag unserer Tochter, über die eigene Kindheit und über das, was ich durch Bilder und Erzählen von der Kindheit meiner Eltern weiß, schoss mir in den Sinn: Die Kindheit meiner Mutter hatte mit dem Mittelalter mehr gemein als mit der Kindheit ihrer Enkelin, meiner Tochter. 
Diese vermeintlich fixe Idee bleib auch nach einigem Nachdenken bestehen. Noch zu meiner Kinderzeit in den sechziger und siebziger Jahren waren die Häuser des Dorfes belebt, es wurde ums Haus herum gewirtschaftet, es gab (gerade noch) eine Dorfschule, es gab alles, was man zum Leben dringend brauchte, im Dorf. Schickte der Lehrer Warburg ein Kind nach Hause- etwa, weil die Fingernägel nicht akkurat sauber waren- so war da auch jemand zu Hause, der dem Kind die Nägel schrubben (und womöglich auch ein wenig "iwwer deer raulisch Schulleehrer" maulen) konnte. Häuser waren in der Regel nicht abgeschlossen, Leute waren da oder jemand wusste, wo man sie finden konnte: Im Gaade. Im Stick. In de Rummele. Beim Bägger. Ei grad beis Leni, bei Sarller'sch, on Mauer'sch. Beim Maije.
Und so gehörte es für mich als Kind auch zu den unerhörten Ereignissen, wenn jemand nicht da war, weil er oder sie "iwwer Feld is". Iwwer Feld, das hieß zumeist Kirn oder Meisenheim, in selteneren Fällen Sobernheim. Iwwer Feld fahre, das bedurfte einiger Vorbereitung. "Ich wollt' noch iwwer Feld fahre, soll ich der ebbes metbringe?" Wenn ich als Kind hörte, das jemand "iwwer Feld is", dann hatte ich die Wiesen und Felder Richtung Lochmühle und Richtung Limbacher Wald vor meinem inneren Auge. (Und das habe ich auch heute noch.) Das entsprach ja nun auch dem Weg, den man nach Meisenheim oder Kirn, nach Sobernheim, ja nach Bad Kreuznach oder Idar-Oberstein einzuschlagen hatte. Iwwer Feld, das hieß, den Radius des Dorflebens zu verlassen, um etwas Wichtiges zu besorgen. Verwandtenbesuche, Arztbesuche, Kulturelles, Lohnarbeit zählte nicht dazu: Iwwer Feld, das  waren Besorgungen, das  geschah zu Öffnungszeiten der Läden. Iwwer Feld, das wurde auch mitgeteilt und geplant, denn nur wenige Frauen hatten einen Führerschein.
Seitdem man für alles und jedes iwwer Feld muss- und auch kann, wenn es sein soll, fünfmal am Tag- seitdem gehört der Ausdruck zu den blass gewordenen, fast ausgestorbenen Begriffen. 

Läden gibt es keine mehr in Hundsbach, wie in so vielen anderen Dörfern, in denen das Leben einmal autark war.
Ein Mensch, das einmal nach Lust "buscheere gehn" wollte, käme heute ungesehen durch's Dorf. Undenkbar zu meiner Kindheit.
Ganz zu schweigen von der Kindheit meiner Mutter.

Donnerstag, 4. August 2011

Buscheere

Noch eine Form der Bewegung hin zu Menschen, Tieren, Attraktionen: Das Buscheere. Vermutlich entstanden aus dem französischen "bouger",  "bewegen". Ich erinnere den Begriff vor allem in Bezug auf unsere Kater, da hieß es dann "er war schunn wirrer buscheere", wenn eines der stolzen Exemplare die Nacht draußen verbracht hatte. Dementsprechend verbinde ich das Wort auch vor allem mit einem neugierigen, strebigen Umherziehen und etwas Ungehörigkeit.  Wer buscheert, ist nicht zuhause oder da, wo man eigentlich zu sein hätte.
Apropos Kater: Ein Meister in der Kunst des Buscheere war unser erster Kater Ruppy, ein riesiges Tier mit sehr ausgeprägtem Freiheitsdrang. Sein Buscheere blieb natürlich nicht folgenlos- noch lange, nachdem er zur letzten Runde losbuscheert war, sah man Katzengenerationen mit buschigem Fell und leicht grimmig getigertem Blick im Dorf mendeln. 

Sonntag, 24. Juli 2011

Pritschele

Kommen wir zu einer Sonder- oder Nebenform des "Maije": Das Pritschele. Ist das Maije in aller Regel mit einer einvernehmlichen Gemütsruhe verbunden (von den erwähnten Tagdieben und Faullemmeln mal abgesehen), handelt es sich beim Pritschele um eine neugiergesteuerte Triebigkeit. Das Wort vereint die Qualität der Bewegung (eilig) mit der Motivation (neugierig oder sensationsfreudig). In der Regel ist es eine weibliche Beschäftigung, es gibt auch das feminine Nomen: "Do guck, die alt' Pritschel!" (Derselbe Satz kann übrigens auch auf einen Mann oder auf ein kleines Kind Anwendung finden, aber das ist eine Typfrage.) Wurde beim Maije verziehlt unn geguckt, wird beim Pritschele geraatscht un gegafft. Während das Maije vom Aussterben bedroht ist, zeigt sich das Pritschele durchaus als überlebensfähig. Der schnelle Gang zum Ort des Geschehens, die Sensationslust, das Gaffen und Kommentieren, die Lufthoheit, das Übertreten von Grenzen des Benimms, die Wiederholungstat- "Do irres doch als' schun wirrer hienegepritschelt!" - all das macht das Pritschele zur bösen kleinen Schwester des Maije. "Do kimmt's schun wirrer aangepritschelt!" ist der Stoßseufzer dessen oder derer, die wenig begeistert sind von dieser Art der Anteilnahme; "Do weerd jetz' net hienegepritschelt!" der Imperativ, mit dem Kinder in der schnellen Neugier gebremst werden; "Was bische dann aach hienegepritschelt?!" der Rüffel, wenn sich jemand in der Neugier nicht zu bremsen wusste und sich dabei die Nase angehauen hat.

Samstag, 23. Juli 2011

Grumbeerepannekiechelscher met Abbelschmeer



Aus gegebenem Anlass und ohne weiteren Kommentar:
Grumbeerepannekiechelscher met Abbelschmeer.

Maije gehn

Das Maije. Man spricht es eher wie Maa'e'je. Eine Frühform des Chillens oder Abhängens bei Bekannten, im Unterschied dazu aber durchaus produktiv. Ich selbst kenne das Maije als Form, ohne Anmeldung und Anspruch auf Serviceleistungen (kein Kaffee, kein Gebäck) auf unbestimmbare Zeit zu Besuch zu kommen. Für eine Viertelstunde mindestens und bis zur nächsten Mahlzeit höchstens. Das Maije gehört zu einer Zeit der Haustüren mit Klinke, die höchstens nachts abgeschlossen wurden, und der Häuser, die am Tag lebten, die Wirtschafts- und Arbeitsraum waren, wo Menschen waren. Es war Teil einer komplexen Lebensform mit ungeschriebenen Gesetzen. Wer Maije gehen wollte, der fand diese Menschen auf dem Hof oder in der Küche. Die Arbeit dessen, bei dem man Maije ging, lief weiter. Es gab das Maije am Vormittag, das war dann eher den Alten vorbehalten, die sich aufgerappelt hatten und ein wenig zuschauten und kommentierten, wie das Mittagessen vorbereitet wurde. Es gab das Maije der Tagdiebe, die nichts zu schaffen hatten, der Faullemmel, die lästig und anhänglich waren. Ei aisch wollt' e bissje maije komme, und wer konnte, sah zu, aus dem Weg zu kommen. Und es gab das Maije der Hände, die zupackten. Das haben mir meine Eltern erzählt: "Beim Maije, do hot mer aach Quetsche, Keersche, Mirabelle gekeernt, orrer Erwess geplickt orrer Bohne geschnibbelt. Was so se doun war. Orrer wenn's owend's war, do hot mer beisamme gehuckt un dann hot mer's Uhwedeersche uffgemach, s' owwerscht Uhwedeersche, wäh'm Licht, unn donn hot mer do sesamme gehuckt unn verziehlt, unn das Licht vum Feier hot geflockert, dos hot gelongt, do hot mer kää Licht se mache brauche, beim Maije."

Freitag, 1. Juli 2011

Gollebiebsche

Ob es das Wort "Gollebiebsche" zu großer Bekanntheit geschafft hat, weiß ich nicht. Mir ist es eines der liebsten Wörter im Hundsbacher Platt, meiner Muttersprache. "Guggemol, e Gollebiebsche" ist zwar übersetzbar ins Hochdeutsche, verliert aber ungemein als "Schau mal, ein Marienkäfer." Übrigens war ich als Kind überzeugt, dass die Anzahl schwarzer Punkte dem Lebensalter des Gollebub entsprach.
Und natürlich gehörte es auch in Hundsbach zu den glückbringenden Ritualen, sich ein Gollebiebsche auf den Finger krabbeln zu lassen und es zum Weiterfliegen zu animieren.

Hundsbacher Platt war meine Muttersprache, von Vaterseite kam der Eisebacher Glantalslang dazu. Dementsprechend war Hochdeutsch meine erste Fremdsprache, in der ich mich heute auch vorwiegend und weitgehend unfallfrei ausdrücke. Es kamen andere Fremdsprachen und Dialekterfahrungen dazu, nach vielen Mainz-Wiesbadener Jahren und diversen Auslandsaufenthalten lebe ich nun in der Eifel, die ganz eigene sprachliche Herausforderungen bietet. Nach einigen Versuchen, mich in der Hochsprache zu verständigen, habe ich festgestellt, dass ein gemäßigtes Hundsbacher Platt erfolgreicher ist als ein gekämmtes Hochdeutsch.

"Guggemol, e Gollebiebsche" kommt halt einfach viel besser an. Wenn ich schon nicht verstanden werde, dann wenigstens auf Platt.

Ich hätte den Blog auch "Konn-doo" oder "Mondel oon" nennen können, "Schneijoobs Luische", "Katzezahl" oder "Droschele". Nun heißt er "Gollebiebsche" und hat Platz für Wörter, Worte, Wortgeschichten, für Erzähltes und Gehörtes, für Erlebtes und noch nicht ganz Vergessenes.