Samstag, 21. Mai 2016

Dellefoneere




Meiner Tochter habe ich dieser Tage erklärt, dass ich aus dem letzten Jahrtausend stamme. Oh, nicht als Entschuldigung oder als Rechtfertigung. Nein, nein: Als Qualitätsnachweis. Ich habe noch gelernt, im Hier und Jetzt zu leben. (Eine Fähigkeit, die man sich heute kaufen muss, indem man Kurse bucht. "Lebe jetzt" heißen diese Kurse. Oder: "Finde Dich". Oder: "Wellness". Egal, wie sie heißen: Man erkennt sie daran, dass man buchen und bezahlen muss.)
Diesen Luxus hatten wir in den Kinderjahren nicht. Niemand konnte uns im Wellnesskurs zeigen, wie man einfach mal loslässt und sein Smartphone ausschaltet.

Unser Smartphone hieß Dellefonzell, war gelb und stand um Parragger, geeje-iwwer vun Blechschmidts.(Se erschd harrisch "Bloumpeerersch" geschrieb, und das war falsch, weil ich "Bloumpeerersch" met "Buddergrets" verwechselt hat. Awwer Buddergrets wär aach net ganz richdisch geweescht, weil es erscht Haus in dem Stichsträßche is Blechschmidts Haus, un doh geeje-iwwer war die Dellefonzell.)
Leider habe ich vom Original kein Bild, aber hier ein Beispiel:
(Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Telefonzelle_%28Deutschland%29)

Om Parragger stand also ein TelH78. Das war aber schon ein Luxus. Als kleines Kind war ich oft dabei, wonn vunn de Poschd dellefoneerd wor is. Kennt das noch jemand? Man stand an bei de Poschd-Lodd und hat gewartet, bis man dran war? Und wenn jemand telefonieren wollte, war da dieses Ehrfurcht gebietende Bakelit-Telefon mit seiner großen Wählscheibe:










Bildergebnis für Bakelit Telefon Post
 Privatsphäre war kein Thema: Wer den Hörer in die Hand bekam, schrie los: "Häh? Joh? Doh? Wer iss donn Doh? Ei doooooh is .... ". Oder , fürnehm: Guten Tach! Hier iss die Frau NAME aus Hundsbach! Wer iss donn doh?"

(Privatsphäre ist auch heute kein Thema mehr, zugegeben: Niemand macht sich einen Kopf, wer da alles mitliest, wenn "ein like gepostet wird".)


Und da schließt sich der Kreis fast schon wieder: Heute wird gepostet, früher ging man zur Post.

(Aber ehrlich: Welch ein Qualitätsverlust!!!!)

Apropos Post. In Hundsbach war das die Poschd-Lott, donn es Christel. Räumlich beide: Im Winkel.

Oh, es gab zu meiner Kinderzeit durchaus noch andere Telefone im Dorf: Beim Borjemääschder, beim Parre, beim Schoullehrer.

Zurück zu TelH78, der Telefonzelle um Parragger. Sie hatte ein hochklappbares Telefonbuch, wie wahrscheinlich alle TelH78. Sie hatte ein Dach und Wände, also Schutz gegen Wind, Regen, Schneestürme und neugierige Ohren. Man konnte echten Unfug treiben: Irgendwo anrufen, seine Stimme verstellen, eine Zeitlang durchhalten, dann schnell den Hörer auf die Gabel knallen, die Tür aufreißen, feststellen, dass es spät ist und schnell heimlaufen. Mit dem Wissen, dass da immer jemand ist, der/die irgendetwas gemerkt hat und der/die später sagt: Das war das Bumpmichels/ dem Zimmermichel seiner/ Trabbeschneijrersch íhr Kläänes...

.... echte wellness, oder? Also das, was man heute "Hier und Jetzt" nennt und teuer bezahlen muss, wenn man es bucht...