Sonntag, 28. August 2011

Vum Hääeße

Ruft mich heute Mittag meine Mutter an: Nach der Lektüre von "Stried leit" war ihr das "Hääeße" in den Sinn gekommen. "Isch wollt' derr noch sahn, es Hääeße muss unnbedinngd aach eninn. Wommer jemond gehääeß hott, wääesche, ferr die Laischd, zum Beispiel." Es schließt sich ein längeres Gespräch über die Doppeldeutigkeit des Begriffes an, in dem auch einige Klassiker der dörflichen Bonmots auftauchen.
Vom Heißen also. Vum Hääeße. (Das ääe ist mein Versuch, einen Laut zu verschriftlichen, der zwischen a und e liegt, dabei aber dem e näher ist als das "ä".)

Die Mehrdeutigkeit des Begriffs ist nicht auf Hundsbach begrenzt, also greife ich nach dem Herkunftswörterbuch des Duden, Mannheim 1963 und werde fündig: Das gemeingermanische Verb, mittelhochdeutsch heizen, althochdeutsch heizzan, "auffordern, befehlen, sagen, nennen", gotisch haitan, "befehlen, rufen, einladen, nennen" (...) gehört wahrscheinlich zu der indogermanischen Wurzel *kei-[d]- "in Bewegung setzen", hat also demnach seine Bedeutung aus "antreiben, zu etwas drängen" entwickelt. (...).
Die Goten also. Befehlen, rufen, einladen, nennen. Doch, ja, das deckt sich in einigem mit dem Hundsbacher Sprachgebrauch.

Fangen wir an mit dem Hääeße = einladen.
Als im April 1979 meine Konfirmation anstand, gab es allerhand vorzubereiten. Familienfeiern wurden zumeist noch zuhause in traditioneller Organisation gefeiert. Also stand einige Wochen vor dem Fest das "Hääeße gehn" an: Die Gäste mussten persönlich eingeladen werden. Inwieweit das per Post geschehen konnte, weiß ich nun nicht mehr- aber ich erinnere mich dunkel daran, dass ich mich in ordentlicher Kleidung bei Verwandten vorstellig zu machen hatte. "Ei, isch wollt' och hääeße, ferr mei Konfermation." Meine Paten, die außer Reichweite für ein Maeje wohnten, habe ich wohl telefonisch "gehääeß".
Zum gleichen Anlass gab es aber auch das Hääeße = rufen (gotisch)  oder auffordern (althochdeutsch).

Auch das gehörte zum Hääeße: Das Goldrandgeschirr für Familienfeiern musste zusammengerufen werden.
Das war aber nicht meine Aufgabe, sondern Sache meiner Eltern: Hääeße fer se Hellfe. Zum Vorbereiten, zum Küchendienst, zum Nachbereiten brauchte es viele helfende Hände- und es gehörte sich, diese Hilfe mit klaren Worten anzufordern. In einem Prinzip der vielschichtigen Gegenseitigkeit, versteht sich.

Im Erzählen heute Mittag fiel meiner Mutter vor allem die Bedeutung des "Gehääeß- senns" bei Beerdigungen (bei de Laischt) ein. "Wer gehääeß wor, der hott vorre met am Graab gestonn. Die Onnere senn aach uff die Laischd gong, awwer, wommer gehääeß wor, dos war ebbes Besonneres, dos war aach e Wertschätzung."
[Wer geheißen war, der stand vorne mit am Grab. Die Anderen gingen auch zur Beerdigung, aber wenn man geheißen war, das war etwas Besonderes, das war auch eine Wertschätzung."]
Se ware gehääeß./ Ei stell derr emol voor, es hott sei Ungel net gehääeß. Das waren Sätze mit Tiefgang (und zuweilen mit mehrjährigen gesellschaftlichen Folgen).

Im Verlauf dieses Gespräches habe ich dann auch ein kleines Missverständnis meinerseits aufgedeckt, und das hat mit einem Klassiker der Hundsbacher Bonmots zu tun:
"Lina, hääeß derr Leit!", so die korrekte Fassung eines Spruches, den ich stets als "Lina, hääes dei Leit!" im Ohr hatte. Ein Buchstabe und eine Welt an Unterschied.
Blenden wir fast hundert Jahre zurück, es herrscht der erste Weltkrieg. Ein Ehepaar, Lina und Karl, war  getrennt; Lina zuhause, Karl im Krieg. Ob per Feldpost oder anlässlich eines Fronturlaubs: Lina muss wohl ihrem Karl geklagt haben, dass sie mit der Arbeit auf Hof und Feld alleine nicht zurande kommt. Und Karl, ob postalisch oder persönlich, hatte den einen Rat: "Lina, hääes derr Leit!" Hääese = rufen, auffordern. Also: Lina, ruf dir Leute dazu, die dir helfen werden.
Jenes "Lina, hääes dei Leit!", das ich im Ohr hatte, war dagegen von ganz anderer Farbe, es deutete an, dass ein Fest anstand und eine Mischpoche einzuladen war.

Von selbiger Lina gibt es weitere Bonmots, die Verlauf und Ende dieser Lebensgeschichte andeuten:
 "Isch honn die beschd Hoffnung, dass uus Kall nimmee kimmt", als wohl keine Feldpost mehr einen Rat brachte.
Und als uus Kall dann doch wieder zuhause war:
"Do leij'rer im Bett, so falsch unn so aarem. Isch honnem e Wassersippsche gekocht, awwer err mohn neischt."
 Irgendwann haben Humoristen der dörflichen Mund-zu-Ohr-Chronik dem angefügt: Do honn isch noch e Eij eninngeschlah unn honn's selwer gess. Das dürfte aber mit einigem zeitlichen Abstand geschehen sein, denn Hundsbacher Kommentare sind zuweilen zwar geeignet, die Graberde von unten zu wenden- aber sie halten sich doch stets an eine gewisse Schamfrist. (Sonst könnte es ja heißen: "Ei wos hosche donn dei Maull net gehall, es hot disch doch kääner gehääeß!")









Samstag, 27. August 2011

Stried leit

Aus gegebenem Anlass ein Beitrag zum Thema "Liegen": Es leit. Oder, das kam mir dann gleich mit in den Sinn: "Stried leit". Womit zwei sehr unterschiedliche Tatbestände genannt sind. Fangen wir an mit "Stried leit".
"Stried" ist ein Gemarkungsname, die Stried liegt im Süden des Dorfes. Es gibt auch einen dazu gehörigen Weg: Den Strieder Weg. "Stried leit" ist ein Zitat, das das umständlichere "wir haben unsere Wiese auf der Gemarkung Striet bereits gemäht" auf den Punkt bringt. Wer es wann aus welchem Anlass geprägt hat, weiß ich nun nicht- aber der Begriff hat sich gemausert zum Ausdruck dafür, dass etwas schlagartig von der Vertikalen in die Horizontale gewechselt hat.
Kam unser Kater Sam ins Haus und ließ sich -pluff- auf die Seite fallen, so hieß es: Stried leit.
War jemand nach schwerer Arbeit oder nach ebenso schwerem Feiern dem Drang der Horizontalen schlagartig gefolgt: Stried leit.
Womit ich auch zum Anlass des Beitrags komme: Nach zwei Wochen Krankenhaus fand unsere Tochter Anna mit selbstloser Unterstützung ihrer Lea die lange vermisste Bettruhe auf dem heimischen Sofa.

Anna und Lea: Stried leit.


Es gehört zu den Hundsbacher Liebenswürdigkeiten, dass im Gespräch die kleinen und die großen Lebensfragen umgekehrt werden: Da wird scheinbar Nichtiges gravitätisch groß- Stried leit- und im Umgekehrten- als drehe man ein Fernglas um- wird Monumentales klein, und man kann darüber reden. Und damit komme ich zu dem anderen Begriff: "Es leit". Oder: "Err leit". In dieser schlichten Kombination ist stets lange und ernsthafte Bettlägerigkeit gemeint.
Zu diesem schweren und monumentalen Thema aber ein andermal mehr- noh all däm Junduff met Anna unn Krangehaus wehr'isch misch jetz aach ab-lähje.
Stried leit.

Freitag, 5. August 2011

Iwwer Feld

Vor einiger Zeit hat mich ein beunruhigender Gedanke gepackt. Beim Nachdenken über den Kinderalltag unserer Tochter, über die eigene Kindheit und über das, was ich durch Bilder und Erzählen von der Kindheit meiner Eltern weiß, schoss mir in den Sinn: Die Kindheit meiner Mutter hatte mit dem Mittelalter mehr gemein als mit der Kindheit ihrer Enkelin, meiner Tochter. 
Diese vermeintlich fixe Idee bleib auch nach einigem Nachdenken bestehen. Noch zu meiner Kinderzeit in den sechziger und siebziger Jahren waren die Häuser des Dorfes belebt, es wurde ums Haus herum gewirtschaftet, es gab (gerade noch) eine Dorfschule, es gab alles, was man zum Leben dringend brauchte, im Dorf. Schickte der Lehrer Warburg ein Kind nach Hause- etwa, weil die Fingernägel nicht akkurat sauber waren- so war da auch jemand zu Hause, der dem Kind die Nägel schrubben (und womöglich auch ein wenig "iwwer deer raulisch Schulleehrer" maulen) konnte. Häuser waren in der Regel nicht abgeschlossen, Leute waren da oder jemand wusste, wo man sie finden konnte: Im Gaade. Im Stick. In de Rummele. Beim Bägger. Ei grad beis Leni, bei Sarller'sch, on Mauer'sch. Beim Maije.
Und so gehörte es für mich als Kind auch zu den unerhörten Ereignissen, wenn jemand nicht da war, weil er oder sie "iwwer Feld is". Iwwer Feld, das hieß zumeist Kirn oder Meisenheim, in selteneren Fällen Sobernheim. Iwwer Feld fahre, das bedurfte einiger Vorbereitung. "Ich wollt' noch iwwer Feld fahre, soll ich der ebbes metbringe?" Wenn ich als Kind hörte, das jemand "iwwer Feld is", dann hatte ich die Wiesen und Felder Richtung Lochmühle und Richtung Limbacher Wald vor meinem inneren Auge. (Und das habe ich auch heute noch.) Das entsprach ja nun auch dem Weg, den man nach Meisenheim oder Kirn, nach Sobernheim, ja nach Bad Kreuznach oder Idar-Oberstein einzuschlagen hatte. Iwwer Feld, das hieß, den Radius des Dorflebens zu verlassen, um etwas Wichtiges zu besorgen. Verwandtenbesuche, Arztbesuche, Kulturelles, Lohnarbeit zählte nicht dazu: Iwwer Feld, das  waren Besorgungen, das  geschah zu Öffnungszeiten der Läden. Iwwer Feld, das wurde auch mitgeteilt und geplant, denn nur wenige Frauen hatten einen Führerschein.
Seitdem man für alles und jedes iwwer Feld muss- und auch kann, wenn es sein soll, fünfmal am Tag- seitdem gehört der Ausdruck zu den blass gewordenen, fast ausgestorbenen Begriffen. 

Läden gibt es keine mehr in Hundsbach, wie in so vielen anderen Dörfern, in denen das Leben einmal autark war.
Ein Mensch, das einmal nach Lust "buscheere gehn" wollte, käme heute ungesehen durch's Dorf. Undenkbar zu meiner Kindheit.
Ganz zu schweigen von der Kindheit meiner Mutter.

Donnerstag, 4. August 2011

Buscheere

Noch eine Form der Bewegung hin zu Menschen, Tieren, Attraktionen: Das Buscheere. Vermutlich entstanden aus dem französischen "bouger",  "bewegen". Ich erinnere den Begriff vor allem in Bezug auf unsere Kater, da hieß es dann "er war schunn wirrer buscheere", wenn eines der stolzen Exemplare die Nacht draußen verbracht hatte. Dementsprechend verbinde ich das Wort auch vor allem mit einem neugierigen, strebigen Umherziehen und etwas Ungehörigkeit.  Wer buscheert, ist nicht zuhause oder da, wo man eigentlich zu sein hätte.
Apropos Kater: Ein Meister in der Kunst des Buscheere war unser erster Kater Ruppy, ein riesiges Tier mit sehr ausgeprägtem Freiheitsdrang. Sein Buscheere blieb natürlich nicht folgenlos- noch lange, nachdem er zur letzten Runde losbuscheert war, sah man Katzengenerationen mit buschigem Fell und leicht grimmig getigertem Blick im Dorf mendeln.